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Vom Ende des Kindseins


© Quarterl1fe

I

Los, nimm meine Hand und lass uns reisen,

reisen zurück in eine Zeit, in der alles so traumhaft

unschuldig war.

Spüre das Gewicht des kleinen Jungen auf deinen Schultern.

Du und Ich beim Kirschen pflücken.

Du, so mächtig und stark,

Ich, so nachdenklich und schüchtern,

doch sicher in deinen Armen.

Putz dir die Spuren meines Bobbycars von den Schuhen,

während der kleine Bub dich verschwitzt angrinst

und deine besten Lautsprecher auseinander fummelt.

Sie werden stumm und Du wirst laut,

der kleine Junge schreckt auf.

Doch deine Wut hält nie lange an,

und schon bald werden wir drüber lachen.


II

Los, nimm meine Hand und lass uns reisen,

reisen zurück in eine Zeit, in der die Unschuld zerbrach.

Höre das bedrohliche Pfeifen des Gegenwindes gegen die Windschutzscheibe.

Du und Ich im Auto.

Du am Lallen und Ich am Schweigen.

Blicke verwundert auf den Fremden, der das Fahrzeug steuert,

fahren angespannt in eine ungewisse Zukunft,

während der Regen unentwegt auf das Dach hämmert.

Mama weint und deine Tochter schreit,

Du willst jetzt stark für uns sein

und gestärkt wirst Du werden.

Der Junge begreift nicht was passiert

und begreifen wird er lange nicht.

Und so tut er was er kann,

er grübelt,

er schweigt.


III

Los, nimm meine Hand und lass uns reisen!

Reisen zurück in eine Zeit, in der alles so unnötig kompliziert war.

Fühle die Schwere in deinem Bauch.

Du und Ich am Streiten.

Sprechen ständig aneinander vorbei

und lernen doch so viel voneinander.

Der kleine Junge im Aufstand.

Blind vor Frust auf die Welt,

erkenne Ich nur noch deine Fehler,

und verwechsle viel zu häufig deine Stärken mit Schwächen.

Zertrete immer weiter die Scherben,

bis nichts mehr bleibt, als die Splitter meiner Kindheit.

Hast Du mich schon damals durchschaut?

Der Junge sprach nie in satanischen Versen,

er wollte doch einfach nur Metal hören.

Verstand nicht wie die Welt funktioniert

und versteht sie bis heute nicht.

Doch Du, Du hast sie schon immer verstanden, nicht wahr?

Geht es doch gar nicht so sehr um das große Ganze,

sondern vielmehr um die Liebe zu deinen Nächsten.


IV

Los, nimm meine Hand und lass uns reisen,

reisen zurück in eine Zeit, in der Ich die Person

hinter meinem Papa kennen lernte und Du

die Person hinter deinem Sohn.

Sei erfüllt von der neuen Leichtigkeit.

Du und Ich am Essenstisch.

Bin längst einen Kopf größer als Du

und muss doch immer noch zu dir hinaufschauen.

Zeige dir die Dinge, die mich bewegen,

und bin bewegt von dem Leuchten in deinen Augen.

Bin oft Geisel deiner Sorgen und

doch ein Kind deiner unendlichen Menschenliebe.

Aus dem schüchternen Jungen

wird ein junger Erwachsener.

Noch immer auf der Suche nach Höherem,

hilfst Du mir dabei, so manchen Stein aus dem Weg zu räumen.

Versuchen gemeinsam die Geheimnisse der Welt aufzudecken,

doch finden nur das Schicksal.

Und das Schicksal spricht:

Der Tod sei mir dir,

und mit deinem Geiste.


V

Los, nimm meine Hand und lass uns reisen,

reisen zurück in eine Zeit, die kaum vergangen

und doch schon ewig weit weg ist.

Spüre die Kälte deinen Körper rauben,

um deine Mitte bestohlen, ans Bett gefesselt.

Du gefangen und Ich am Verzweifeln.

Blicke entsetzt auf diese kahlen Mauern,

die die heile Welt von den Trümmern trennt.

Auf der Suche nach dir,

verloren in den verworrenen Gängen

versuche Ich zu verstehen:

Wird die Zeit erst zum Feind,

wird die Welt auf links gedreht.

Du hast mich Stärke gelehrt,

und stark will Ich sein,

doch schwer wiegt die Last dich zu tragen,

stützt dich ab, auf den Schultern die Du einst selbst geformt hast,

und dein Abdruck bleibt.


VI

Los, nimm meine Hand und

lass jetzt los.

Bin dir so nahe wie nie, doch weiß, Du kannst nicht bleiben.

Du am sterben und Ich an deinem Bett.

Falle hinab in eine Welt ohne dich,

eine Welt, die so grausam laut und still zugleich ist.

Die Wände dieser Wohnung werden

niemals dieselben sein,

deine Laute schallen noch immer durch ihre Räume,

hattest noch so viel zu sagen,

doch konntest nicht mehr.

Versuche dir auf deinem letzten Schritt Kraft zu geben

und bin selbst noch nicht bereit dich gehen zu lassen,

war doch noch viel zu wenig Kind

um dich jetzt schon zu verlieren.

Suche ein letztes Mal verzweifelt deine Hand,

doch greife ins Leere,

kann meine Liebe nicht mit Tränen aufwiegen.

Die Kirschen blühen nun ohne dich,

und Du

fehlst mir so.


 


Daniel Krooß, 35, ist nach einem einschneidenden Jahr der Sinn nach einem Neuanfang. Bei seiner neuen Aufgabe in der kulturellen Bildung strebt er danach mit tollen Menschen tolle Dinge auf die Beine zu stellen und dabei für sich die Leichtigkeit wieder zu entdecken.


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