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Damien Götsch

Ein Tag in meinem Leben



Woke up, fell out of bed, dragged a comb across my head. Found my way downstairs and drank a cup and looking up, I noticed I was late. Found my coat and grabbed my hat, made the bus in seconds flat. Found my way upstairs and had a smoke and somebody spoke and I went into a dream. - A day in the Life, The Beatles

Wenn ich aufwache, ist da ein Gefühl in meiner Brust, von dem ich auch nach langer Zeit immer noch unmöglich sagen kann, ob ich es für mich besser als Enge oder als Leere beschreiben kann. Mir fehlt der Antrieb, sofort aufzustehen, weshalb aus 7, 8 oder 9 Uhr schnell 7:20, 8:20 und 10 Uhr wird. Ich wache mit wenig Hunger auf, weiß aber, dass ich erst abends in meinem lieben Zuhause wieder vernünftig werde essen können, deshalb frühstücke ich so gut wie noch zeitlich und physisch möglich, meistens einfachen Toast mit Frischkäse, Gouda oder vielleicht mal Erdnussbutter (jedenfalls nichts allzu gewagtes und herausforderndes für meinen noch schläfrigen Magen). Danach trinke ich ein halbes bis ein Glas Wasser, einkalkulierend, dass ich auch heute niemals in die Nähe von zwei oder sogar drei Litern kommen werde, putze mir die Zähne, ziehe mich um und finde mich in quälender Erinnerung daran, dass ich noch vor einer Stunde in meinem Bett lag und dort gerne liegen geblieben wäre, auf dem Weg zur Straßenbahn wieder.

Immer beeile ich mich, auch wenn ich weiß, dass ich gut in der Zeit bin, denn eine Fußgängerampel könnte es ja schlecht mit mir meinen oder die Bahn zu früh abfahren. Am Ende des Weges sprinte ich manchmal ein bisschen, nur zur Sicherheit, um ein paar Extrasekunden gut zu machen.

Ich bin jemand, der kaum in sein Handy schaut, wenn er in der Bahn sitzt. Ich schaue daran vorbei durch das Fenster und sehe dort Menschen, Bahnhöfe, Autos, Waldstücke und Gebäude. Es ist ein schönes Gefühl, sein Schicksal für dreißig Minuten nicht in den eigenen Händen zu wähnen. Ich muss nicht entscheiden, wann ich ankomme, sondern weiß einfach, wenn es soweit ist.


Was dann passiert, ist nicht leicht zu beschreiben. Auf dem schmalen Fußweg, der meine Endstation von meinem tatsächlichen Endziel trennt, verlässt mich mit jedem Schritt die Entspannung der Straßenbahnfahrt. Was übrig bleibt, ist ein ähnliches Gefühl, wie das unmittelbar nach dem Aufwachen. Und es bleibt lange, nachdem ich an meinem Ziel angekommen bin. Manchmal verschlimmert es sich noch, manchmal verbessert es sich (je nachdem, wie ich mich den Anderen gegenüber präsentiere und ob die Reaktionen eher positiv oder negativ ausfallen), eine Grundanspannung bleibt jedoch immer. Diese Grundanspannung plus/minus das, was dazu kommt, wirft in mir allerspätestens am Nachmittag und jeden Tag aufs Neue die Frage auf, gegen wen ich mich eigentlich im Krieg befinde. Ich fühle mich zu unbedeutend, um es mit jemand Anderem zu sein, habe aber zu wenig ein Problem mit mir selbst, um mich selbst zu bekämpfen. Die Frage, gegen wen ich kämpfe und gegen wen ich augenscheinlich mal mehr – mal weniger – im Verlieren begriffen bin, scheint eine mindestens genauso bedeutende zu sein, wie der nach der Herkunft dieses Gefühls in meiner Brust. Es hat sicherlich etwas mit meinen eigenen Erwartungen an mich selbst und das Leben zu tun, und ich bin mir zu neunundneunzig Prozent sicher, dass ich alles nötige bereits in mir habe, um meinen Krieg zu beenden, aber ich habe es noch nicht raus, einfach noch nicht ganz raus, weshalb ich durch mein eigenes Leben lahme, wie ein angeschossenes Tier.


An manchen Tagen habe ich nicht nur eins, sondern mehrere Endziele, aber im Wesentlichen gibt es da keine Unterschiede. Ich mache mich erschöpft auf den Weg nach Hause, bin aber gleichzeitig positiv überrascht, ja fast euphorisch, dass ich diesen einen Tag jetzt auch noch „geschafft“ habe. Es ist, als hätte ich eine Schlacht gewonnen in diesem Krieg, von dem ich Gegenstand bin.

Zuhause löse ich mein an mich selbst gestelltes Versprechen ein und esse und trinke für einen ganzen Tag. Viele Hunde nehmen keine Nahrung zu sich, während ihre Herrchen weg sind, und ich kann der Logik des Gedanken kaum widersprechen, dass dieses Verhalten auch auf mich zutrifft, wenn ich weg bin. Auch ein voller Magen bremst die Euphorie nicht, die mein „Sieg“ über den am Ende stehenden Tag ausgelöst hat. Ich nutze die zwei bis drei Stunden Freizeit, die ich vor dem Zubett-Gehen noch habe, für eine heiße und am Ende sogar kalte Dusche, Sport und nicht zuletzt Entspannung.

Jede Nacht lege ich mich mit mehr Motivation und Energie schlafen, als ich beinahe den gesamten Tag hatte, trotzdem schlafe ich schnell ein. Doch wenn ich morgens aufwache, egal wie lange oder wie gut mein Schlaf war, ist sie wieder da: diese Enge, diese Leere. Wie ein Geist scheint sie mich von innen heraus anzustarren. Und ich kann nicht anders, als die Frage zu stellen: Was passiert eigentlich mit mir, was ist das vergiftete Wunder, das jede Nacht geschieht, nachdem ich eingeschlafen bin und bevor ich aufstehe?



 

Damien Götsch, 19, aufgewachsen in Leverkusen, studiert Pädagogik in der Nähe von Stuttgart. In seiner Freizeit schreibt er Kurzgeschichten und Drehbücher.

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