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Die Hand meines Vaters


© Quarterl1fe

Wir stehen vor dem Spiegel. Du und ich. Jahre voneinander entfernt.


Wir sind uns nicht ähnlich, außer vielleicht die Haare. Wir haben beide braune Haare, auch wenn deine leicht mit Grau durchsetzt sind. Du, kurz. Ich, lang.


Ich weiß bis heute nicht, ob du jemals lange Haare hattest. Über so etwas haben wir uns nie unterhalten.


Wir haben nicht über alles geredet, mag es noch so belanglos sein. Du bist eher der stille Typ, ich dafür eher die Quasselstrippe.


Mit Ausnahme der Haare sind wir uns kein Stück ähnlich.


Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber man muss auch im Leben nicht alles bewerten.


Ich bin froh, „Ich“ zu sein. Ich bin gerne das „Ich“.


Ich sehe an uns runter. Du, in deinem Hemd und Jeans, alles in Schwarz und Grau gehalten.

Ich, in meinem bunten Kleid.


Wir sind uns nicht ähnlich. Keiner, der uns zusammen sieht, würde meinen, wir sind uns ähnlich.


Eher unähnlich. In allem, was es da gibt.


Ich bin eben „Ich“, auch wenn du es früher mochtest, dass ich die gleiche Musik wie du magst. 80er Musik war unser Thema, das wir besprechen konnten, aber viel mehr gab es auch nicht.


Ich sehe, als ich den Blick senke, deine rechte Hand, und mein Blick bleibt darauf hängen.


Ich starre fast darauf, denn nach all der Zeit sehe ich den Ringabdruck vom Ehering bei dir.

Du trägst ihn anscheinend nicht immer, daher sieht man jetzt nur eine leichte Verfärbung an der Stelle. Warum ihn überhaupt tragen? Immerhin ist die Beziehung zu Mama nicht erst seit gestern vorbei.


Ich kenne dich ja auch nicht erst seit gestern und würde tippen, es ist dein Stolz, der dich davon abhält ihn abzulegen, den Ring der Vergangenheit.


Du kannst und willst dir nicht eingestehen, wie es geendet hat. Nämlich dass Mama eine Entscheidung getroffen hat. Eine Entscheidung, die ihr guttat, weil sie nicht weiter mit dir wie Bruder und Schwester zusammenleben wollte. Sie hat die Entscheidung getroffen in dem vollen Wissen, welche Konsequenzen das mit sich zieht. Aber auch, weil sie wusste, dass es nicht ihre Vorstellung vom Leben war, nebeneinander her zu leben, sondern miteinander zu leben, Sachen zu erleben, gemeinsam.

Dir war das egal.


Du sagtest, dir sei wichtig, wie es nach außen hin wirkte.


Auto, Haus, Garten, Frau, Tochter.


Hauptsache, es sah von außen aus, als ob alles toll wäre. Dass aber die glücklich wirkende Ehe keine glückliche mehr war, dass der scheinbare Reichtum Fassade war oder dass der liebende Vater kein solcher war - das hat dich alles nicht interessiert.


Wichtig war und wird immer für dich sein: der Schein.


So wie der Schein deines Eherings an deinem Finger. Du bist einfach zu stolz, dir einzugestehen, dass dein altes Leben vorbei ist.


Veränderung muss nicht immer schlecht sein. Aber gerade du bist ein Verfechter der Stagnation.


Ich kann mich noch erinnern, wie wir immer nur dieselben Sachen im Kühlschrank zum Essen hatten. Nie gab es etwas anderes oder Ausgefallenes, was wir neu probiert hätten. Du hast ja auch stets nur ein Essen gekocht, Nudeln mit Soße und Salat dazu. Ich glaube, du konntest nichts anderes kochen bzw. hattest du auch kein Interesse, etwas anderes auszuprobieren, weil du damit zufrieden warst.


Ich kann an dieser Stelle sagen, dass es geschmeckt hat, aber in den Jahren, die vergangen sind, kann ich auch beurteilen, dass es andere Essen und Essensarten gibt, die es auch wert sind, sie auszuprobieren.


Ich wusste schon immer, es fällt dir schwer dich zu ändern, aber wisse, dass auch andere von der Entscheidung von Mama beeinflusst wurden. Einige mussten sich entscheiden, zwischen zwei Wegen, die sie gehen konnten. Mir jedoch hast du die Entscheidung selbst abgenommen.


Unsere Beziehung zueinander war gegen Ende nicht die Beste. Dieses ständige Anschreien, dieses ständige Diskutieren und die Schellen. Du hast mir nicht mehr das Gefühl gegeben, deine Tochter zu sein , sondern eher ein pubertierendes Geschöpf, das du kaum in deiner Nähe ertragen konntest.


Deswegen auch die Schellen. Wenn man diskutiert und dem anderen fallen keine Argumente mehr ein, dann werden manche Menschen handgreiflich. Und so einer warst du. Man konnte ab einem gewissen Punkt nicht mehr mit dir diskutieren. Du hast anscheinend nicht verstanden, dass ich zwar erwachsen aussah, aber trotzdem erst 15 Jahre alt war. Ich war noch ein Kind. Und Kinder verhalten sich nicht immer rational, deshalb solltest du der Erwachsene in der Situation sein und dich auch so verhalten. Aber du warst es nicht.


Die Hand mit dem Ring. Ring, eher Schatten von einem Ring. Diese Hand ist die Hand, die ich mit allem Negativen verbinde, was mit dir zu tun hat.


Wir stehen vor dem Spiegel. Nebeneinander. Unsere Schultern berühren sich nicht. Ich sehe deine Hand, wie du mir sie reichst, damit ich sie ergreife, aber da ist kein Gefühl. Kein Gefühl der Liebe. Nur das bedrückende Gefühl, dass du hinterlässt, wenn ich dich ansehe.


Ich nehme deine Hand nicht. Ich lebe mein Leben und du deines.


 

P. S. Zocht, 33, ist ein echtes Berliner Großstadtkind mit der Leidenschaft für die literarische Welt von Fantasy, Thriller und Horror. Gedichte hat sie bereits publiziert und wagt sich nun an ihren ersten Roman, ein Kinder-Fantasy-Buch für ihren größten Kritiker, ihren Sohn. Im Kampf gegen die Stagnation wagt sie neue Wege und betrachtet die Welt aus unterschiedlichen Perspektiven – und das ist es ja auch, worum es im Quarterlife geht.

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